Nachruf Yuri I. Manin

Am 7. Januar 2023 ist Yuri I. Manin gestorben. Gestern (am 16. Februar 2023) wäre er 86 Jahre alt geworden.
 
Wie kein Zweiter war er ein Mathematiker und Visionär. Er hat sich mit den Werken der antiken Meister (Diophantos von Alexandria), mit den Werken von Galois, Grothendieck, Gödel, Kolmogoroff, Mordell … und natürlich mit denen seiner Kollegen und seiner Schüler beschäftigt. Er hatte ein weites mathematisches Arbeitsgebiet und prägte selbst mit seinen Ergebnissen die moderne Mathematik.
 
Darüber hinaus untersuchte er physikalische Probleme der Quantentheorie und die Zusammenhänge von Mathematik und Physik. Bei der Berechnung des sogenannten Poljakow-Maßes auf Modulräumen von riemannschen Flächen entdeckte er die Ähnlichkeit seiner Methoden mit denen von Gerd Faltings in dessen Beweis der mordellschen Vermutung. Er schreibt, „dass gerade die abwegigsten mathematischen Ideen irgendwie prädestiniert sind, mit der physikalischen Welt zu harmonieren…“

Im Moskau der 60er bis 80er Jahre, seiner kreativsten Zeit, begann er – angeregt durch Kontakte zu Sprachwissenschaftlern und Philologen – sich für „humanitäre Studien, für […] die Bedeutung der menschlichen Kultur, für Geschichte und für Psychologie“ zu begeistern. Er wunderte sich über die Bildung von Begriffen, begriffliche Genauigkeit, kulturelle Symbole und deren Änderung wie zum Beispiel die von Evolution, Relativität oder Unterbewusstes oder über „solche Worte, die noch nicht Symbole, aber fast keine Begriffe mehr sind: Menge, Symmetrie, Raumzeit.“ Aber nicht nur einzelne Worte interessierten ihn, auch die Sprache selbst und die Entstehung von Sprache. Er fand mathematische Strukturen in der Sprache (semantische Räume) und veröffentlichte darüber.

Mathematik war für ihn nicht nur „das großartige Handwerk“ sondern auch „Metapher der menschlichen Existenz“.

Marietta Ehret, 17.02.2023